Bruder Anselm und der tote Ritter by Ursula Sachau

Autor:Ursula Sachau [Sachau, Ursula]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-07-24T16:00:00+00:00

Anselm sieht missbilligend auf die Pergamentrolle in seiner Hand. Dieser Auftrag gefällt ihm überhaupt nicht. Er wollte möglichst unauffällig nach dem Rappen Moro suchen, und nun muss er offiziell in Redwitz auftreten und dem ›Junker‹ die Tür weisen. Er wird ja mit keinem Menschen ordentlich reden können.

In Gedanken vertieft, geht er über den Hof, da kommt auch schon der Junge mit seiner Stute. Er dankt und schwingt sich in den Sattel. Verflixt, der Kanzler hat gut reden, er soll sich Zeit nehmen. Er hat das Pferd in Grimma wie versprochen abzugeben, und ein anderes will er sich lieber nicht besorgen. Dann muss er eben zu Fuß gehen. Es eilt ja nicht, hat der Kanzler gesagt.

Also ab nach Grimma! In gestrecktem Galopp sprengt er die Straße entlang.

Als er den ersten Kirchturm von Grimma ausmachen kann, steigt er ab und führt das Pferd am Zügel. Er glaubt schon, den Mietstall, wo er die Stute abstellen soll, unbemerkt erreicht zu haben, als ihn ein Augustiner lauthals begrüßt:

»Dominus vobiscum, Anselm!«

»Et cum spiritu tuo, Thomas.«

»Warum so einsilbig, Bruder? Redest du nicht mehr mit unsereinem, da du zu einem stolzen Ross gekommen bist?«

»Ich soll's ja nur dort abgeben.«

»Nun sei doch nicht verlegen, Anselm. Meinst du, ich kreide dir an, dass du die Regeln etwas freier auslegst? Es wird wohl so oder so bald zu Ende sein mit der ganzen Möncherei.«

»Wie soll ich denn das verstehen?«

»Nun, hast du noch nichts von Bruder Martin aus Wittenberg gehört? Er hat herausgefunden, dass es ganz allein Gottes Gnade ist, die uns gerecht macht.«

»Da ist nicht viel herauszufinden, es steht doch im Römerbrief!«

»Du bist sehr bibelkundig, Anselm. Ja, Bruder Martin aber sagt, all unser Fasten und Abtöten des Fleisches, all unsere so genannten guten Werke können rein gar nichts bewirken zu unserer Seelen Seligkeit.«

»Natürlich nicht, was hätten wir armseligen Menschlein dem Schöpfer aller Dinge schon zu bieten zum Ausgleich dafür, dass wir allzumal sündigen und nicht das Gute tun, das wir tun wollen, sondern das Böse, das wir nicht tun wollen.«

»Kennst du Luthers Schriften?«

»Heißt dein Bruder Martin so?«

»Ja. Du kennst sie also nicht?«

»Nein. Sollte ich?«

»Ja, ja, unbedingt! Denn durch diese Erkenntnis werden unsere Gelübde hinfällig, und wir können frei in die Welt hinausgehen und dort dem Herrn besser dienen als im Kloster«, ereifert sich Bruder Thomas.

»So, meinst du? Ich denke das nicht. Und nun entschuldige mich bitte, ich muss mich beeilen, nach Nimbschen zu kommen.«

»Gott mit dir, Bruder Anselm.«

»Gott mit dir, Bruder Thomas.«

»Und unser Prior Wolfgang von Zeschau will auch das Kloster verlassen!«, ruft Thomas noch zum Abschied.

Anselm tätschelt mit beiden Händen die Nüstern der Stute und legt seinen Kopf an ihren Hals.

»Wie heißt du eigentlich, meine Liebe? Da haben sie dich mir gegeben, ohne mir deinen Namen zu nennen. Und nun soll ich dich hier bei fremden Menschen lassen. Ich habe mich an dich gewöhnt, weißt du das? Und ich mag dich. Du bist eine Gute, eine Schöne, ja, das bist du. Gott segne dich. Ich weiß nicht genau, ob man das zu Tieren sagen darf, ich tue es einfach. Du bist doch sein Geschöpf und wahrhaftig vollkommener als viele Menschen.

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